Eine Reise in den Tod
Zur zentralen Gedenkveranstaltung am 21. August um 16 Uhr am „Zeichen der Erinnerung“ in Stuttgart
Theresienstadt – Ghetto / Altersghetto / Konzentrationslager: schon an den unterschiedlichen Bezeichnungen erkennt man die Problematik im Umgang mit diesem Ort, der zwischen Prag und Dresden gelegen ist. Ein Durchgangslager ab Spätherbst 1941, in welchem etwa 33.000 Menschen an den Haftbedingungen gestorben sind, 88.000 von dort weiter deportiert und in Vernichtungslagern ermordet wurden, etwa 17.000 das Kriegsende (ganz wörtlich) erlebt haben.
Aus Stuttgart wurden die Opfer vom „Inneren Nordbahnhof“ aus (heute: Otto-Umfrid-Straße) deportiert. An die letzte „große“ Deportation (am 22. August 1942) nach Theresienstadt wollen wir am Sonntag, 21. August 2022 um 16 Uhr beim „Zeichen der Erinnerung“ gedenken. Fast 1100 Menschen aus Württemberg, Hohenzollern und Baden – aus 58 (!) Orten unseres Landes – wurden zuvor auf dem Killesberg in der „Ehrenhalle“ des Reichsnährstandes interniert. Mit deutscher Gründlichkeit und Präzision sowie unerbittlicher Härte wurden diese Überstellungen vollzogen. So liest man z.B. in einem Erlass des Stuttgarter Gestapochefs Friedrich Mußgay vom 14. August 1942: „Am 22.8.42 geht von Stuttgart aus ein Transport mit Juden nach dem Protektorat. Zu diesem Transport sind vom dortigen Kreis die in beiliegender Liste namhaft gemachten Juden eingeteilt. … Die Juden werden in einem Sammellager (Killesberg) in Stuttgart zusammengefasst. Ich ersuche, sämtliche namhaft gemachten Juden dort zu sammeln und am Donnerstag, den 20.8.42, nach Stuttgart (Hauptbahnhof) zu überstellen. Für den Abtransport der Juden aus den Gemeinden Laupheim, […13 Orte] sind die auf den beiliegenden Fahrübersichten angegebenen Züge zu benützen, da von der Reichsbahndirektion Stuttgart zu diesem Zwecke Beförderungsmöglichkeiten geschaffen wurden. …“
Dabei beraubte man sie all ihres Eigentums, sie verloren die Staatsbürgerschaft und die meist kleinen Gemeinden und Städte konnten stolz der Gestapo vermelden, ihr Ort sei nun „Judenfrei“.
Nachdem bereits am 1. Dezember 1941 von Stuttgart aus mehr als 1000 Opfer aus Württemberg und Hohenzollern nach Riga deportiert und dort ermordet wurden, im April 1942 nach Izbica im Südosten Polens 441, ist die Besonderheit dieses dritten großen Transports, dass nun alle alten und kranken Menschen ohne Ausnahme deportiert wurden. Viele waren erst in den Vorjahren in Zwangsaltenheimen auf dem Land ghettoisiert worden. 48 von 1078 Menschen überlebten.
Erst 60 Jahre nach Kriegsende entstand durch bürgerschaftliches Engagement die Gedenkstätte „Zeichen der Erinnerung“, weitere 15 Jahre dauerte es, bis das „Hotel Silber“ eingeweiht werden konnte.
Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten – diese Erkenntnis von August Bebel leitet eine große Gruppe von Initiativen und Institutionen in Stuttgart und weit darüber hinaus. Sie alle – auch die Kulturgemeinschaft ist dankenswerterweise dabei – haben sich zur Kooperation für die Gedenkveranstaltung zusammengefunden. Im Zentrum dieser wird ein Zeitzeugengespräch stehen mit Gerry Fabian – heute 88 Jahre alt. Wir sind zutiefst berührt, dass er die weite Reise aus Australien auf sich nimmt, um zu uns, mit uns zu sprechen. Dazu treten Berichte von anderen Deportierten, Ansprachen aus Politik und Religion, musikalisch gestaltet dies Gedenken der Geiger Linus Roth.
Im Anschluß (ca. 18 Uhr) sind Sie alle in die Gedenkstätte eingeladen, auf deren „Wand der Namen“ dann mehr als 440 neue Namen verzeichnet sind – Namen die auf Grund jüngerer Forschung erst jetzt bekannt geworden sind. Sichtbar wird damit, dass die Erforschung dieser Gräueltaten nie ein Ende finden wird, also auch der heutige Stand nur als „Kenntnis des Augenblicks“ gelten kann. Auf der Wand am Eingang sieht man eine erste Ergänzung: Zwei Jahre nach der Einweihung 2006 rückte die Opfergruppe „Sinti und Roma“ ins Bewußtsein – 271 Namen wurden nachgetragen und die Deportation vom 15. März 1943 in das Vernichtungslager Auschwitz angefügt.
Einladen dürfen wir auch zu einem stillen Gedenken zuvor um 14 Uhr an der Stele auf dem Killesberg mit Rabbiner Jehuda Pushkin. Anschließend Gang (mit Führung auf Wunsch) zum „Zeichen der Erinnerung“ über den Eckartshaldenweg vorbei an den Kirchen St. Georg und Martinskirche, die außen mit Tafeln an die Deportationen erinnern und bekennen „Unter den Augen der evangelischen Martinsgemeinde wurden sie deportiert“ bzw. „Wir haben geschwiegen.“
Zum „Nie wieder“ gehört auch das „Nie wieder Wegsehen, nie wieder Schweigen“.
Im Namen aller an der Gedenkveranstaltung Beteiligter
Andreas Keller
Wichtiger Hinweis:
Am Inneren Nordbahnhof (Otto Umfrid-Straße) gibt es keine Parkmöglichkeiten. Wir empfehlen dringend die Anreise mit der U12 Haltestelle Mittnachtstraße (möglich auch U 5, 6, 7, 15 H Pragfriedhof, S-Bahn H Nordbahnhof.)