Mit den Vögeln auf der Suche nach dem Göttlichen
Der Komponist Olivier Messiaen
Am Ende des zweiten Aktes der Oper „Saint Francois d’Assise“ gibt es eine der eigenwilligsten Passagen in der Welt der Oper. Etwa dreißig Minuten lang dauert dieses „große Vogelkonzert“. Der französische Komponist Olivier Messiaen frönt in dieser Szene einer seiner Leidenschaften und zugleich einer der wichtigsten Inspirationsquellen seines Musik-Schaffens: Rund 700 verschiedene Rufe und Melodien von Vögeln aus allen Ländern dieser Erde konnte der (Hobby-)Ornithologe Messiaen identifizieren.
Die Tonfolgen und die rhythmischen Sequenzen finden sich in nahezu allen seinen Werken, egal ob er nun für Singstimmen oder Instrumente komponierte, ob er Sinfonisches oder geistliche Stücke schrieb. Für Messiaen, der seinen Katholizismus intensiv lebte, waren die Vögel „Boten Gottes“, deren Gesänge ihn seinem transzendenten Ziel näherbrachten. Zeit seines Lebens war der 1908 in Avignon geborene Messiaen auf der Suche nach dem „theologischen Regenbogen“. Seine Spiritualität thematisierte er vielfach und betrachtete sie als Grundlage seines Könnens und zugleich als deren Ziel: „Es ist unbestreitbar, dass ich in den Wahrheiten des katholischen Glaubens diese Verführung durch das Wunderbare hundertfach, tausendfach multipliziert wiedergefunden habe, und es handelte sich nicht mehr um eine theatralische Fiktion, sondern um etwas Wahres.“
Zu den bevorzugten Orten, an denen sich Messiaen, der im Hauptberuf 60 Jahre lang Organist an der Pariser Kirche La Trinité war, aufhielt, gehörten die gotischen Kathedralen in Frankreich. In dem Licht-Zauber der farbigen Fenster glaubte er das Wesen Gottes und zugleich die Stimme der Natur zu erkennen: „In der Zeit, als mein Vater zum Professor in Paris ernannt wurde, hatte ich große Freude daran, Monumente, Museen und Kirchen zu besuchen; meine ersten Besuche der Notre-Dame haben ohne Zweifel Einfluss auf meine Laufbahn ausgeübt. Ich bin noch immer geblendet von den wunderbaren Farben dieser Fenster des Mittelalters. Das ist die Natur selbst in ihrer außerordentlichsten Äußerung.“
Auch wenn Messiaen zutiefst vom Katholizismus geprägt war, hatte er keine Probleme damit, auch außer-christliche Religionsvorstellungen, etwa die Lehren des Hinduismus, in seine Denk- und Glaubenswelt zu integrieren. Genau wie er einen kompositorischen Personalstil entwickelte, der neben den allgegenwärtigen Vogelstimmen die Rhythmik altgriechischer Verse enthielt und von der auratischen Klangwelt der gregorianischen Choräle geprägt war. Auch außereuropäische Einflüsse finden sich immer wieder, gerne gepaart mit seriellen Strukturen, die er in seiner Tätigkeit als Kompositionslehrer am Pariser Konservatorium auch an eine ganze Generation herausragender Schüler weitergab.
Etliche dieser stilistischen Quellen, verbunden mit einer weiteren zentralen Inspirationsquelle, dem mittelalterlichen Tristan-Mythos, finden sich auch in der 1948 entstandenen, großformatigen „Turangalîla“-Sinfonie, die in zehn Sätzen, unter Sprengung sämtlicher gängiger Form-Modelle, das Wesen der Liebe erkundet. Am 17. März wird das SWR-Symphonieorchester dieses selten zu hörende Stück aufführen und damit eine regelrechte Messiaen-Phase in Stuttgart eröffnen.
Denn am 11. Juni wird sich im Opernhaus der Vorhang für die Premiere der gewaltigen „Saint Francois“-Oper heben: Aktuell kalkuliert die Staatsoper mit einer Aufführungsdauer von rund 7 Stunden. Genügend Zeit also, um all die Vogelstimmen, indischen Bezüge, griechischen Rhythmen und naturreligiösen Bezüge zu identifizieren und sich tief in die mystische Welt Messiaens zu versenken, die geprägt von der Suche nach Humanität war: „Angesichts so vieler entgegengesetzter Schulen, überlebter Stile und sich widersprechender Schreibweisen gibt es keine humane Musik, die dem Verzweifelten Vertrauen einflößen könnte. Da greifen die Stimmen der unendlichen Natur ein.“
Markus Dippold
SWR-Symphonieorchester
16. und 17. März, 20:00 Uhr / Liederhalle, Beethoven-Saal
Karten für Mitglieder: 21 - 44 Euro